Diakonie Deutschland

Historische Fachtagung - Diakonie

20. - 21.04.2023 | Bielefeld-Bethel

In Bethel, einer der größten diakonischen Einrichtungen Europas, trafen sich am 20. und 21. April 2023 Expert:innen aus Geschichte, Diakoniewissenschaft und Theologie zur historischen Fachtagung »Ordnung und Freiheit – Ambivalenzen in der Geschichte der Diakonie«. Im Zentrum des Kongresses standen die Fragen: »Wo waren Innere Mission und Diakonie geprägt von Paternalismus und autoritären Strukturen? Welche befreienden, anwaltschaftlichen und froh machenden Momente gibt es im Rückblick und was kann Diakonie daraus für die Zukunft lernen?«

Die Diakoniegeschichte des 19. Jahrhunderts sei von Patriarchen geprägt, sagte der Bielefelder Historiker Hans-Walter Schmuhl. Im Mittelpunkt stünden Männer wie Johann Hinrich Wichern, die die Kirche verändern wollten. Wichern legte mit der Professionalisierung des Dienstes am Nächsten und einer modernen Sozialpädagogik den Grundstein für das Diakoniewesen. Doch trotz der Dominanz der Männer – ohne professionell ausgebildete Frauen, die Leitungsaufgaben übernahmen, hätte diese Arbeit nicht funktioniert. Das machte die Kirchenhistorikerin Ute Gause von der Ruhr-Universität Bochum am Beispiel der Diakonisse Emilie Heuser deutlich: Heuser wurde 1869 Oberin des neuen Mutterhauses in Bielefeld, später »Sarepta« genannt. Gemeinsam mit dem damaligen geistlichen Vorsteher Friedrich von Bodelschwingh leitete sie die Schwesternschaft über 25 Jahre.

Die amerikanische Historikerin Dagmar Herzog von der City University of New York ging der Frage nach, wie diakonisches Handeln trotz der christlichen Grundannahme,
dass Gott sich in den Schwachen zeige, von verbrecherischem Denken infiltriert werden konnte. Sie zeigte auf, dass vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg behinderte Menschen auch in diakonischen Einrichtungen als reine »Objekte der Fürsorge« betrachtet und gering geschätzt wurden.

Dunkle Kapitel und Ambivalenzen klar zu benennen und mit diesem Wissen die Zukunft gestalten, das ist ein Ergebnis der Tagung in Bielefeld. Zum Blick nach
vorn gehören auch die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen und eine neue Kultur der Zusammenarbeit in diakonischen Unternehmen. »Ethik-Diskurse sind kein
Luxus«, betonte die Bethel-Vorständin und Vorsitzende der Konferenz Diakonie und Entwicklung, Johanna Will-Armstrong, im Abschlussplenum.